Dienstag, 22. Juni 2021

10 km Hölle

Am Sonntag war es wieder soweit. Der Cuxhaven Marathon 2021 stand auf dem Programm. In Fachkreisen ist dieser Termin auch als "Heute bekommt jeder eine Medaille"-Tag bekannt. Captain Future hatte wieder dazu aufgerufen, durch die Teilnahme etwas für den guten Zweck zu tun. Dieses Jahr wurden Spenden für die örtliche DLRG gesammelt. Wer mehr zu dem Thema wissen möchte, schaut sich am besten die Veröffentlichungen vom Captain an.

Auch ich wollte mich nicht lumpen lassen und auch wieder am Lauf teilnehmen. Nachdem ich sonst immer die 5km bzw. dann die 6km-Runde gelaufen bin, habe ich mal großspurig angekündigt, dass ich die 10 Kilometer auch mal laufen werde, damit ich in den Genuss der gesamten Strecke kommen kann, also bis zum Strandhaus Döse und zurück statt immer in der Bucht schon umdrehen zu müssen. Viele Kollegen hatten sich auch für diese Strecke gemeldet. Bei jeder Hochzeit gibt es
Trauzeugen, die im entscheidenden Moment einschreiten können, um das drohende Unheil zu verhindern. WO WART IHR???? Wo wart ihr, als ich mich im Anflug einer gnadenlosen Selbstüberschätzung für die 10 Kilometer angemeldet habe? Puh, da musste ich nun also durch. Das Training ging auch recht gut an, erste Fortschritte wurden erzielt, der vorsorglich angeforderte Rettungshelikopter konnte beidrehen. Doch dann schlug Corona wieder zu und der Lauf wurde vom 11.04. auf den 20.06. verschoben. Gut, dann konnte ich mein Training ja auch verschieben.

Kennt ihr das Gefühl, dass Weihnachten immer so plötzlich vor der Tür steht? So ging es mir mit dem Lauf. Auf einmal war es nur noch eine Woche und mein Training war gleich null, dafür die Pandemieplauze voll im Saft. Okay, die sechs Kilometer bin ich immer aus der kalten Hose gelaufen, den Rest werden die Zuschauer schon irgendwie für mich erledigen. Schade bloß, dass unser Start erst um 17:00 Uhr (aufgeteilt in vier Startblöcke) erfolgen sollte und die Erwartung auf enorme Zuschauermassen, die voyeuristisch veranlagt das Debakel auf der Strecke gebannt verfolgen werden, war in etwa gleich hoch wie mein Trainingslevel. Aber eine Spitzenleistung war sowieso nicht zu erwarten. Der Spaß und der gute Zweck standen eh im Vordergrund. Aber was war mit meiner Motivation? Gespannt schaute ich in den Wetterbericht, Jubelschreie durchbrachen die Stille, als ich von schweren Gewittern las. Danke, lieber Wettergott, danke für die Rettung. So zumindest die Hoffnung am Freitag...

Es wurde Sonntag, der Sieg der deutschen Fußballnationalmannschaft vom Vorabend gegen Portugal lag mir noch in den Knochen. Die Sonne lächelte mich wach, ich lächelte zurück. Verhalten zwar, aber ich lachte die Sonne aus wegen der erwarteten Gewitterschauer. Ein Blick in den aktualisierten Wetterbericht ließ mich in einer Schockstarre zurück. Sonne, Sonne und nochmals Sonne. Echt jetzt? Wie konnte ich aus der Nummer wieder herauskommen? Vier Stunden vor dem Start fuhr ich in die Stadt um schonmal Wettkampfatmosphäre zu schnuppern und meine Startunterlagen abzuholen. Überall traf ich irgendwelche Bekannten. "Na, warum läufst du nicht?" waren die meisten Begrüßungen. Unbezahlbar waren die Gesichter der Leute, als ich wedelnd meine Startnummer hervorholte. Allein dafür hat sich das Anmelden schon gelohnt. Doch das Kernproblem blieb bestehen: die Motivation.

Viele Szenarien gingen mir durch den Kopf: der plötzliche Anruf aus der Familie? eine vorgetäuschte Zerrung? Oder sollte ich gar mit Absicht unmittelbar nach dem Start gegen die erste Laterne laufen? Da hätten wenigstens die Zuschauer was zu lachen und ich hätte genügend Zeugen, dass ich einfach nicht weiterlaufen kann. Doch eigentlich hatte ich mich ja auch angemeldet, um mir selbst und einigen anderen Leuten etwas zu beweisen. Und der Captain hat mir ein Bier am Deichübergang am Strandhaus versprochen. Das waren doch genügend Gründe, um mitzulaufen.


So stand ich dann im Startbereich. Um mich herum top motivierte Helfer, die trotz der ganzen Vorgaben auch jetzt vor dem späten Start noch gut gelaunt waren, und Sportler, denen ich es abnehme Läufer zu sein und nicht wie ich ein Körperdebakel gefangen in einem Laufshirt. Dann der Start, eine jubelnde Menge, ein erster Schritt, ein erstes Ziehen im Rücken. Verdammt, wäre ich mal besser vorbereitet und leichter gewesen. Aber was soll´s, der Entschluss den Lauf durchzuziehen, stand fest. In einem gemütlichen Tempo ging los, die Strecke entlang bis ich endlich am Strandhaus Döse ankam. Unser Captain sorgt sich um seine Crew. Da stand er tatsächlich mit einer Dose Pils in der Hand und wartete auf mich. Ein wenig neidisch schauten mich die anderen Läufer in der Nähe schon an. Eine sehr geile Aktion, danke nochmal :-)

Mit neuer Energie ging es weiter. Klar, zwischendurch musste ich mal etwas gehen, dafür war mein Fitnesszustand einfach zu schlecht, um bei dem Wetter den Lauf eiskalt durchzuziehen. Aber ich habe es getan. Zwischendurch kam noch unser Oberbürgermeister entgegen geradelt und bot mir ein Wasser an. Ein sehr feiner Zug von ihm, aber wenn man ein Bier hatte, geht man nicht zum Wasser zurück ;-)


Nach einer schier endlosen Zeit bin ich dann noch ins Ziel gekommen bei einer Zeit, die ich aufgrund des fehlenden Trainings angepeilt hatte. An dieser Stelle möchte ich mich einmal bei den Kollegen für die Überstunden entschuldigen. Wie gesagt, es ja ging nicht darum eine Jahresbestzeit zu erlangen, sondern um Spaß zu haben. Und dieses Ziel wurde definitiv erreicht. Auch bei der After-Run-Party im Strandhaus Döse, bei der zwar die Beine schmerzten aber der Stolz schon überwog.


Und wer weiß? Vielleicht wird es nächstes Jahr wieder die 10km-Distanz. Ich hoffe darauf, dass die Veranstaltung dann wieder wie früher mit einem Volksfest-Charakter durchgeführt werden kann.